Karin Stüber, Verwaltungsratspräsidentin in der Automobilbranche
Karin Stüber verfolgte zunächst eine akademische Karriere, die in der Berufung auf den Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwissenschaft an der Universität Würzburg gipfelte. Im Jahr 2019 gab sie diesen jedoch auf und kehrte in die Schweiz zurück, wo sie heute als Verwaltungsratspräsidentin die Verantwortung für das familieneigene Unternehmen, die Mercedes-Benz Automobil AG, trägt. Es handelt sich dabei um den grössten Mercedes-Händler der Schweiz, der Stützpunkte auch in Italien, Luxemburg und Österreich besitzt. Daneben ist Karin Stüber im Teilzeitpensum an der Universität Zürich weiterhin wissenschaftlich tätig.
(Februar 2021)
Welche Fächer haben Sie an welcher Universität studiert?
Griechische Literatur- und Sprachwissenschaft, Vergleichende Indogermanische Sprachwissenschaft sowie Religionsgeschichte an der Universität Zürich.
Wann haben Sie sich für Altertumswissenschaften zu interessieren begonnen und gab es ein Schlüsselerlebnis, das Ihre Studienwahl massgeblich beeinflusst hat?
Schon mit acht Jahren las ich mit Begeisterung Jugendversionen der Ilias und der Odyssee, und danach war schon bald klar, dass ich am Gymnasium Latein und Griechisch lernen wollte. Griechisch entwickelte sich dann zu meinem Lieblingsfach, so dass die Wahl des Studienhauptfachs bald feststand.
Hatten Sie vor dem Studium ein bestimmtes Berufsbild im Kopf, gab es für Sie Vorbilder?
Ich begann mein Studium aus reinem Interesse, ein Berufsbild gab es da noch nicht. Bald aber wies mich die Begeisterung für die Forschung in Richtung einer akademischen Karriere.
Wie haben Sie das Studium erlebt, was hat Ihnen besonders Spass gemacht, was hat Ihnen eher Mühe bereitet?
Geschätzt habe ich damals die Freiheit, jene Kurse auszusuchen, die mich am meisten interessierten. Auch die Möglichkeit, Einblicke in benachbarte Fächer, etwa die Antike Philosophie oder die Archäologie, zu tun, kam mir entgegen.
Erzählen Sie uns bitte kurz Ihren beruflichen Werdegang nach dem Studium.
Im Lauf des Studiums hatte ich meine Passion für weitere alte Sprachen und insbesondere für das Altirische entdeckt. Das Doktoratsstudium zog mich deshalb nach Irland, an die National University of Ireland in Maynooth. Anschliessend kehrte ich an die Universität Zürich zurück, war dort in Projekten tätig und habilitierte mich 2002 für das Fach Vergleichende Indogermanische Sprachwissenschaft. Auf eine Gastprofessur an der Universität Wien folgten fünf Jahre als SNF-Förderungsprofessorin in Zürich und schliesslich der Ruf nach Würzburg, auf den Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwissenschaft, den ich fünf Jahre lang innehatte. Im Frühling 2019 kam dann der Wechsel zu einer total neuen Tätigkeit. Ich kehrte in die Schweiz zurück und übernahm in unserem Familienunternehmen, der Mercedes-Benz Automobil AG, das Präsidium des Verwaltungsrats.
Beschreiben Sie uns bitte kurz Ihre aktuelle berufliche Tätigkeit, welche Aspekte Sie besonders schätzen und welche weniger.
Als Verwaltungsratspräsidentin bin ich zusammen mit der Unternehmensleitung für die strategische Ausrichtung unserer Firma zuständig. Das ist angesichts von Herausforderungen wie Elektromobilität und Car-Sharing eine spannende Aufgabe. Aber auch die strategische Fortführung unserer Expansion ins europäische Ausland beschäftigt mich. Besonders schätze ich die unternehmerische Freiheit, die sich in der Privatwirtschaft bietet, und die in starkem Kontrast zu den engen Korsetten an der Universität steht.
Welchen Nutzen hat Ihnen das Studium für Ihre aktuelle Tätigkeit gebracht?
Einen direkten Nutzen in Bezug auf Inhalte gab es nicht. Die im Studium erworbene Fähigkeit aber, analytisch zu denken und aus einer Menge an Fakten rasch das Wesentliche zu erfassen, die kommt mir jeden Tag zugute.
Welche Kenntnisse und Fähigkeiten, die für Ihr aktuelles Berufsleben wesentlich sind, haben Sie ausserhalb des Studienkontextes erworben?
Kenntnisse in betriebswirtschaftlichen Themen habe ich mir im Rahmen eines Executive MBA an der Universität Zürich erworben. Vieles habe ich auch von meinem Vater, der in meiner jetzigen Funktion mein Vorgänger war, gelernt. Eine Vorbereitung war natürlich auch meine Tätigkeit als Mitglied des Verwaltungsrats seit 2005.
Im Rückblick, was erachten Sie als wichtige Voraussetzungen für ein Studium der Altertumswissenschaften?
Wichtig scheint mir der Wille und die Fähigkeit, sich in eine Sache zu vertiefen und einen Text in allen Details auszuleuchten. Und natürlich braucht es Freude an der Literatur und Sprache.
War es nach dem Studium leicht, eine Stelle zu finden?
Akademische Stellen sind in meinem Fach, der Vergleichenden Indogermanischen Sprachwissenschaft, nicht leicht zu finden. Es gab daher immer wieder Durststrecken.
Sie üben eine berufliche Aktivität ohne direkten Bezug zu den Altertumswissenschaften aus, inwiefern vermissen Sie den Bezug zu den Altertumswissenschaften in Ihrer aktuellen Tätigkeit?
Ich habe das Glück, dass ich im Teilzeitpensum an der Universität Zürich weiterhin in meinem Fachgebiet forschen kann.